fashion

Go big or go home

# 09/18

Ausgedacht hatten sich den Wettstreit zwischen der Design-Elite der Grande Nation und den besten Modeschöpfern der Neuen Welt zwei visionäre Frauen: die umtriebige Eleanor Lambert, Erfinderin der Fashion Week und Best Dressed List, und die Pariser Society-Königin Baroness Marie-Hélène de Rothschild. Für einen guten Zweck, nämlich das Budget der dringend benötigten Renovierung des Sonnenkönig-Prunkbaus, sollten vor den Augen von 700 Millionären im Opernhaus von Versailles die Fetzen fliegen. Mit großem Heimvorteil bildeten Yves Saint Laurent, Christian Dior, Hubert de Givenchy, Pierre Cardin und Emanuel Ungaro das französische Team. Rund 30.000 Dollar hatten die Designer für jede ihrer fünf Mini-Schauen, die mit Showeinlagen von Rudolf Nurejew, Josephine Baker und Jane Birkin sowie dem Nachbau einer Weltraumrakete und der Kürbis-Kutsche aus „Cinderella“ aufwarteten. Die Herausforderer aus den USA – Bill Blass, Halston, Stephen Burrows, Anne Klein und Óscar de la Renta – konnten insgesamt nur 50.000 Dollar ausgeben. Ihr Bühnenbild passte in einen Weekender, und die kleine Zahl von Models machte ein ständiges Umziehen nötig ...

1

Der letzte Vorhang für Laufsteg-Spektakel schien längst gefallen. In den Achtzigern predigte (nicht nur) Helmut Lang einen neuen Minimalismus, der opulente Inszenierungen verbot. Heute sorgen Live-Streams, der Sportswear-Boom und virtuelle Technologie dafür, dass elitäre Events im Hollywood-Format ein Hauch von Gestern umweht. Von fade to black jedoch keine Spur: Die großen Modehäuser fliegen ihre Front Row munter weiter um die halbe Welt – und setzen auf ein kreatives Wettrüsten. flair wirft in der September-Ausgabe einen Blick auf diese Entwicklung.

1
Fendi-Show von 2007 auf der Chinesischen Mauer / Foto: Fendi

Würde eine Außerirdische auf ihrem implantierten Datenchip die Modebilder des Jahres 2018 abfragen, flimmerte vermutlich eine dieser Szenen vor ihrem inneren Auge: Mädchen, die künstliche Köpfe in der Hand und Babydrachen auf der Schulter tragen (Gucci), Drohnen, die inmitten des Nachbaus einer Barockkirche Handtaschen statt Hostien umherfliegen (Dolce & Gabbana), riesige Ohren und Augen, die über einem Schachbrettmuster schweben, dazwischen Couture-Kleider, gefolgt von einem Maskenball (Dior). Oder: Kunstschnee und ein Ufo, aus dem ein Topmodel steigt, das von einem Roboter auf den Laufsteg geführt wird (Philipp Plein). Spätestens jetzt wird der Alien irritiert seinen Suchbegriff überprüfen. Hatten die Menschen wirklich so aufwendig Textilien präsentiert? Unfassbar. Nach weiterer Recherche wüsste unsere Extraterrestrierin zudem, dass Modenschauen vor sagenhafter Kulisse, mit raffinierten Effekten und (bezahlter) Prominenz ihre Halbwertszeit längst überschritten hatten. Eigentlich. Totgesagte lebten schließlich schon immer länger. Was im Fall der Fashion Show ein Trio von Gründen hat – geschäftliche, mediale und sentimentale. Für Letztere beamen wir uns rasch zurück zum 28. November 1973, einem Mittwoch, der Modegeschichte schreiben sollte. Weil damals das intime Salon-Defilee endgültig auf Großveranstaltung getrimmt wurde.

2
Gucci für den H/W 2018/2019: Models mit künstlichen Köpfen auf den Armen ... / Foto: catwalkpictures.com
... dazu ein OP-Saal / Foto: catwalkpictures.com
1
Beeindruckende Kulisse: Saint Laurent legt die F/S-Kollektion 2018 dem funkelnden Eiffelturm zu Füßen / Foto: catwalkpictures.com
14.09.2018