Giorgio Armani im flair-Interview

„Brechen Sie Regeln, meine Damen!“

Beschreiben Sie bitte „Ihre Frau“ anno 2017 etwas genauer.
Sie ist aktiv und busy, sie zieht sich für jeden Tagesabschnitt mit Geschmack und Bedacht an – und sie liebt zeitlos elegante Stücke. Vor meinem geistigen Auge sehe ich viele Frauen in meinen Jacketts und das macht mich ungemein stolz. Eine Vielzahl grundverschiedener Frauen, die wesentliche Eigenschaften vereinen: Persönlichkeit, Weiblichkeit und das Bestreben, mehr Sein und weniger Schein auszustrahlen. Frauen, die arbeiten und trotzdem ihr Outfit mit viel Liebe zum Detail kombinieren. Ohne jemals wie ein Fashion Victim zu wirken!

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Giorgio Armani F/S 2015 / Foto: Giorgio Armani
Giorgio Armani F/S 2017 / Foto: Giorgio Armani
Giorgio Armani F/S 2017 / Foto: Giorgio Armani
Giorgio Armani H/W 2017 / Foto: Giorgio Armani

Welches Kleidungsstück beschreibt diese Frau von damals wie heute am besten?  
Die bereits erwähnte (Kostüm-)Jacke, die eine spannende Evolution hinter sich hat und doch immer noch unverkennbar aus meinem Atelier stammt. Sie ist über die Jahre weicher und sinnlicher geworden und heute eher eine zweite Haut als eine „Business-Rüstung“.

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Roberta Armani und Sophia Loren / Foto: SGP
Shlomit Malka / Foto: SGP

Auch mit 83 Jahren hält der Designer und globale Mode-Unternehmer die Zügel seines Stil-Imperiums aus Fashion, Düften, Interieurs sowie Gastronomie und Hotels fest in der Hand. Giorgio Armani, der aus Piacenza stammt, fing als Schaufenster-Dekorateur und Verkäufer im Kaufhaus La Rinascente in Mailand an, absolvierte Stationen bei Nino Cerruti und etliche freie Projekte ehe er 1975 seine eigene Firma gründete und die erste Menswear-Kollektion präsentierte. Start einer beispiellosen Karriere! Wie wenige Veteranen der Mode kann er erzählen, wie Veränderung und Haltung stützen und bestärken.

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Foto: SGP

Welche Ideal-Frau sahen Sie vor sich, als Sie anfingen, Mode unter Ihrem eigenen Namen zu entwerfen?
Alles begann mit der Premiere meiner ersten Men-Kollektion. Erst als meine Schwester Rosanna und ihre Freundinnen, die gern Männersakkos trugen, mich darum baten, beschäftigte ich mich mit Kostümjacken und Blazern für Damen. Die fielen dann entsprechend maskulin aus. In den 1980ern waren Hosenanzüge enorm erfolgreich, die man damals Power Suits nannte. Ich selbst benutze diesen Begriff nicht, aber passend ist er schon. Mein Wunsch, den ich als echten Bedarf in der Gesellschaft wahrnahm, war die Kreation einer einfachen, weichen (Anzug-)Jacke – perfekt für Frauen, die immer im Job immer aktiver und eingespannter waren. Meine Version stand dem Pendant für die Herren in Würde und Attitüde in nichts nach. Endlich gab es ein Design, das zum Berufsleben erfolgreicher Frauen passte, die keinesfalls ihre Weiblichkeit aufgeben wollten. Auf dieser Basis habe ich unzählige Varianten entworfen, für alle Situationen des Tages, sogar für die Nacht.

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Giorgio Armani F/S 1980 / Foto: Courtesy of GA
Giorgio Armani H/W 1984 / Foto: Aldo Fallai
Giorgio Armani H/W 1985 / Foto: Aldo Fallai
Giorgio Armani H/W 1991 / Foto: Aldo Fallai

Wie hat sich Ihre Ur-Vision über die folgenden vier Jahrzehnte verändert?
Meine Grundidee hat mit der massiven Veränderung der Frauen Schritt gehalten, die in recht kurzer Zeit ihre Prioritäten deutlich verschoben haben. Anfangs half ihnen meine Mode, sich im Büro wichtig(er) und respektiert zu fühlen. Vor allem zu einer Zeit, wo sie das kaum erwarten oder gar voraussetzen konnten. Heute ist die Situation glücklicherweise anders, und Frauen haben herausgefunden, dass sie auch im harten Arbeitsalltag ihre feminine Seite zeigen können. Von ihren wichtigsten Werten und Charakterzügen her hat sich die Armani, die ich im Atelier im Kopf habe nicht verändert. Sie bleibt willensstark und bewusst, sie sucht noch immer nach Mode, die ihr Wesen unterstreicht und die sie nicht verkleidet. Ich denke, dass echte Power heute in der Fähigkeit besteht, die Regeln des „Power Dressing“ zu ignorieren.

10.01.2018